Versorgungsstrukturen umbauen

Balve

Die Umwandlung einer Landklinik in einen Gesundheitscampus

Stufen der VeränderungÜber BalveReportageInterviewKontakt

Stufen der Veränderung

Das Problem

Der Träger des St.-Marien-Hospitals hatte angekündigt, das 120 Betten-Haus in wenigen Monaten zu schließen, wenn die Patientenzahlen bis dahin nicht deutlich steigen. Für den beratenden Experten Ingo Jakschies war schnell klar: Das Krankenhaus ist nicht mehr zu retten.

Das Konzept

Das „Wabenkonzept“: Im ehemaligen Krankenhaus sollte ein ambulantes medizinisches Zentrum entstehen, ein Ort, an den man nicht nur kommt, wenn man krank ist, sondern auch, um Sport zu treiben oder sich zu treffen. Wabe für Wabe sollte so ein neues Versorgungsangebot hinzukommen. Das Konzept überzeugte nicht nur Bürgermeister Mühling, den Kirchenvorstand und andere Meinungsbildner im Ort, sondern auch die Bevölkerung.

Das Veränderungsklima

Jürgen Overkott, Redakteur der Westfalenpost in Balve, fasst es so zusammen: „Es gab eine kurze Phase der Trauer, aber dann waren die Menschen sehr schnell überzeugt, dass der Blick jetzt nach vorne gerichtet werden sollte".

Wichtig für den Erfolg

Beim Aufbau des Gesundheitscampus half es, dass es in Balve eine Reihe von zupackenden Persönlichkeiten gibt, die das Vertrauen der Menschen genießen.

Die neue Gesundheitsversorgung

Heute befindet sich im Gebäude des ehemaligen Krankenhauses der „Gesundheitscampus Sauerland“. Hier arbeiten Internisten, Kardiologen, Diabetologen, Gastroenterologen, Nephrologen und Orthopäden. Es gibt eine Wohngruppe für Demenzkranke und eine Intensivstation für Langzeitbeatmete und Wachkomapatienten. Die Menschen kommen zur Tagespflege, zur Physio-, Ergo- oder Klangschalentherapie, zum Demenzcafé, zum Rehasport, zu den Angeboten des Kneipp-Vereins, zum Treffen ihrer Selbsthilfegruppe. Ein ambulanter Pflegedienst hat hier ebenso seinen Sitz wie die Malteser ein Begegnungs- und Schulungszentrum. Außerdem gibt es ein Sanitätshaus.

Über Balve

  • In Nordrhein-Westfalen

  • ca. 11.000 Einwohner

  • 74,81 km²

Eine Kleinstadt im Nordwesten des Sauerlands 

Balve ist eine Kleinstadt und wird dem ländlichen Raum zugerechnet. Das Durchschnittsalter aller Personen in der Kommune beträgt 45,8 Jahre; bundesweit liegt es bei 44,7 Jahren. Die Bevölkerungszahl hat seit dem Jahr 2011 um 5,3 % abgenommen; bundesweit hat sie seitdem um 3,6 % zugenommen. Die über die letzten 4 Jahre gemittelten Steuereinnahmen der Kommune betragen im Jahr 2021 im Durchschnitt 1.312 Euro pro Einwohner; bundesweit lagen sie bei 1.443 Euro pro Person. 

Balve gehört zum Märkischen Kreis und ist dem Regierungsbezirk Arnsberg zugeordnet. Im Märkischen Kreis leben knapp 407.000 Einwohner auf einer Fläche von 1.061 km2; das ergibt eine Bevölkerung von 383 Personen je km2. Die größte Kommune des Kreises ist die ca. 20 km von Balve entfernte Stadt Iserlohn mit ca. 90.000 Einwohnern. Die nächste große Großstadt ist in 50 km Entfernung die Stadt Dortmund. 

Bis zu seiner Schließung im Jahr 2012 verfügte Balve mit dem St.-Marien-Hospital über ein 120-Bettenkrankenhaus mit den Abteilungen innere Medizin, Chirurgie und Anästhesie sowie Intensivmedizin auf 5.600 m2. Heute befindet sich im Gebäude des ehemaligen Krankenhauses der „Gesundheitscampus Sauerland“ mit einem hausärztlichen, kardiologischen, gastroenterologischen, internistischen, orthopädischen, chirurgischen, diabetischen und nephrologischen Angebot. Mehr zur Gesundheitsversorgung in Balve

Alle Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2021. Quellen: wegweiser-kommune.de, destatis.de, statistikportal.de. Ausführliche Hinweise zu den Quellen finden Sie auf der Seite zur Datengrundlage. 

Reportage

Die Bürger von Balve oder 
»Wir wollen unser eigenes Ding machen.«

In der kleinen Stadt im Sauerland schließt ein kirchlicher Träger das Krankenhaus, und es entsteht etwas Neues. Etwas, das den Bürgern der Stadt gehört.

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01: Der Beginn

„Balve, wo ist das denn?“ Als Ingo Jakschies 2011 einen Anruf bekam, der mit der Bitte verbunden war, er möge das Krankenhaus in Balve retten, wusste er erstmal gar nicht, wo das liegt, dieses Balve. Der Klinikmanager hörte sich das Anliegen trotzdem an. Er hatte sich schließlich gerade als Projektentwickler selbstständig gemacht, weil er – wie er sagt - nicht mehr der „Rotstift-Ingo“ sein wollte. So hatten sie ihn bei seinem letzten Arbeitgeber genannt hatten, wo er für die Wirtschaftlichkeit von 14 Krankenhäuser zuständig gewesen war. Er wollte Kliniken und Regionen wirklich helfen. Und so fuhr er nach Balve ins Sauerland, führte Gespräche und vertiefte sich in das, was da zu passieren drohte und was die Balver Bürger mit seiner Hilfe unbedingt verhindern wollten: Die Schließung des St.-Marien-Hospitals. Der Träger des 120 Betten-Hauses, die „Katholische Kliniken im Märkischen Kreis“ (KKimK), hatte im Dezember 2011 nämlich angekündigt, es Mitte 2012 schließen zu wollen, wenn die Patientenzahlen bis dahin nicht ordentlich steigen würden. Jakschies wurde schnell klar: Das Krankenhaus ist nicht zu retten. Aber vielleicht würde sich ein neuer Weg finden. Warum er da so sicher war? Er erklärt das so: „Haben Sie schon mal erlebt, dass der Protest von Spielern und Zuschauern dazu führt, dass ein Schiedsrichter einen einmal gegebenen Elfmeter wieder zurücknimmt?“ Na eben. So sei das hier auch.

Das ist jetzt gut zehn Jahre her, und inzwischen ist Balve Jakschies zweite Heimat. Und ja, es hat sich ein neuer Weg gefunden: In dem Gebäude – einer ehemaligen Sonderimmobilie - befindet sich heute zwar keine Klinik mehr, aber der „Gesundheitscampus Sauerland“.  

02: Heute: Alle strömen zum Campus

Es gibt dort Internisten, einen Kardiologen, einen Diabetologen, Gastroenterologen, Nephrologen und Orthopäden, die ihre Sprechstunden anbieten. Es gibt eine Wohngruppe für Demenzerkrankte und eine Intensivpflege für Langzeitbeatmete und Wachkomatisierte. Die Menschen kommen hierher in die Tagespflege, zur Physio-, Ergo- oder Klangschalentherapie, zum Rehasport, zu den Angeboten des Kneipp-Vereins, zum Treffen ihrer Selbsthilfe-Gruppe oder zum Verweilen im Bistro. Ein ambulanter Pflegedienst hat hier ebenso seinen Sitz wie die Malteser ein Begegnungs- und Schulungszentrum. Es gibt auch einen Demenztreffpunkt mit Demenz-Café und der Ausbildung von ehrenamtlichen Demenz-Helfern und ein Sanitätshaus. „Durch die breite Aufstellung strömen alle zum Campus: Gesunde, Kranke, Junge, Alte – jeder bringt sich ein, als Anbieter oder Teilnehmer“, sagt der Balver Hausarzt Dr. Paul Stüeken jun.

Es ist ein bunter Ort geworden, an dem sich alles um Medizin, Pflege und Gesundheit dreht. Natürlich hat auch hier Corona vielen Aktivitäten eine Unterbrechung und einigen sogar das Ende bereitet, nun soll sich das Haus wieder füllen. Jakschies ist einer von zwei Geschäftsführern und auch Gesellschafter der GmbH und empfängt nicht selten Delegationen von Politikern aus anderen Gegenden Deutschlands, die mal gucken wollen, ob sie sich etwas abgucken können für ihre eigenen defizitären oder schon geschlossenen Krankenhäuser. Man kann wohl sagen: Die Balver haben die Sache mit ihrem Krankenhaus in die eigenen Hände genommen – der Campus gehört heute der extra zu diesem Zweck gegründeten Bürgerstiftung Balve.  

03: Das Ende des Krankenhauses und wie es dazu kam

Und das kam so: Als der Träger des St.-Marien-Hospitals im Februar 2012 dessen endgültiges Aus verkündete, war das das Ende einer Leidenszeit, und doch für viele ein Schock. Die KKiMK betrieben damals neben der Klinik in Balve zwei weitere Krankenhäuser in der Gegend – in Menden und Iserlohn. Der katholische Gesundheitsversorger betreibt außerdem Altenheime, betreute Wohnanlagen und eine Berufsfachschule. Der Vorstand der katholischen Kirche St. Blasius in Balve hatte neben dem Bürgermeister der Stadt regelmäßig an den Sitzungen des Verwaltungsrates der KKiMK teilgenommen und wusste deshalb seit Jahren, dass es finanzielle Schwierigkeiten gab. „Es war uns aber stets signalisiert worden, dass es zwar wirtschaftlich schlecht liefe, man das Krankenhaus in Balve aber nicht über die Klinge springen lassen wolle“, erzählt Martin Gruschka, damals Vorsitzender des Kirchenvorstandes. In den Standort Balve waren in den Jahren zuvor noch eineinhalb Millionen Euro investiert worden, unter anderem für eine neue Notaufnahme. Und es hatte immer wieder Versuche der Stabilisierung gegeben: Die Kliniken des Trägers waren zu einem Verbund zusammengeschlossen, Einkauf und Wäscherei zentralisiert, Fachdisziplinen konzentriert worden.

Trotzdem: Die Klinik machte jährlich rund eine Million Euro Minus, und die KKiMK waren insgesamt „nicht auf Rosen gebettet“, wie Gruschka es ausdrückt. Vielen, die sich auskannten, erschien es deshalb auch einigermaßen logisch, dass der Träger im Dezember ankündigte, die Klinik in Balve bei gleichbleibend niedrigen Patientenzahlen zu Mitte 2012 schließen zu wollen. Als das endgültige Aus dann aber schon wenige Wochen später kam, „da waren wir vor den Kopf gehauen. Die Enttäuschung war groß“, erzählt Alfons Rath, damals Mitglied im Kirchenvorstand der katholischen St. Blasius-Gemeinde und dort als Rendant für die Finanzen zuständig. Das 120 Jahre alte Krankenhaus war in der Stadt tief verwurzelt, jeder und jede hatte einen Bezug. War dort geboren oder schon mal behandelt worden, kannte einen oder viele, die dort arbeiteten. 

04: Der Blick nach vorn

Balve ist eine 12.000 Einwohner-Stadt im Sauerland. Die Katholische Kirche spielt hier noch eine wichtige Rolle, ebenso die Schützenbruderschaft, in der jeder Mitglied werden kann, der 16 ist und männlich. Viele engagieren sich ehrenamtlich, viele sind Mitglieder in Vereinen. Man kennt sich, man ist miteinander im Gespräch. Und als die Schützenbruderschaft eine Demonstration gegen die Schließung der Klinik organisierte, trugen 2800 Balverinnen und Balver ihre Wut und Enttäuschung auf die Straße. Eine Unterschriftenliste unterzeichneten 8000 Menschen aus der Region. Der Protest war zwar vergeblich, aber doch eine Initialzündung: „Da herrschte das Gefühl: Das nehmen wir nicht so einfach hin, wir müssen etwas machen. Da ist der Keim für etwas Neues entstanden“, erzählt Hubertus Mühling – damals wie heute Bürgermeister von Balve (CDU).

Jürgen Overkott, Redakteur der Westfalenpost in Balve, fasst es so zusammen: „Es gab eine kurze Phase der Trauer, aber dann sind die Menschen sehr schnell überzeugt worden, dass der Blick jetzt nach vorne gerichtet werden sollte“.

Dabei half, dass es in Balve eine  Reihe von Persönlichkeiten gibt, die das Vertrauen der Bürger genießen und die die Dinge in ihre Hände nehmen, wenn es Probleme gibt.  Eine von ihnen war der 2018 gestorbene Wilhelm Hertin. Der Geschäftsführer der Chemie Wocklum, die im Besitz der Familie Hertin ist, wollte sich nicht abfinden mit dem Aus der Klinik und fand wohl vor allem die Vorstellung unerträglich, dass dieses Krankenhaus, das auch dank der jüngsten Investitionen in gutem Zustand war, womöglich einfach abgerissen werden würde. Der Balver Unternehmer – selber noch in dem Krankenhaus geboren – war es, der Jakschies anrufen ließ und ihn schließlich für drei Monate engagierte, um in dieser Zeit ein neues Konzept für das Balver Krankenhaus zu entwickeln. Dafür stellte er zudem seinen Prokuristen Martin Gruschka weitgehend frei, damit dieser Jakschies im Ort die Türen öffnen und gemeinsam mit ihm die Möglichkeiten sondieren könnte. Als Vorsitzender des Kirchenvorstandes war der ohnehin im Thema.  

05: Konzept für etwas Neues

Und so lernte Jakschies die Balver kennen und führte gemeinsam mit Gruschka unzählige Gespräche mit den KKiMK, mit anderen Klinikträgern, mit der Bezirks- und der Landesregierung, mit Ärztinnen und Ärzten, Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung. Natürlich gab es Kliniken, die sich für das Haus interessierten, es beispielsweise als kleine Dependance und vor allem als Quelle für Patienten nutzen wollten. „Aber uns wurde klar: Wir wollen unser eigenes Ding machen, die Balver wollen das Helft des Handelns in der Hand behalten“, erzählt Jakschies.

Und so entwickelte der Diplom-Kaufmann innerhalb weniger Monate für Balve ein „Wabenkonzept“: Ausgehend von einer zentralen „Königinnenwabe“ sollte sich in dem ehemaligen Krankenhaus ein ambulantes medizinischen Zentrum entwickeln. Wabe für Wabe würde sich zu einem großen Ganzen fügen, und würde es an einer Seite zunächst mal nicht weitergehen, dann eben an einer anderen. Jakschies setzte dabei auf die Bereiche Medizin, Pflege, Therapie und bürgerschaftliches Engagement, denn er wollte den Campus auch zu einem Treffpunkt entwickeln, zu dem man nicht nur käme, wenn man krank sei, sondern auch, um da etwas Sport zu machen oder sich zu treffen.  

Als Ausgangspunkt für das medizinische Angebot – quasi als Königinnenwabe – hoffte Jakschies auf die zwei Internisten, die im Krankenhaus Belegbetten gehabt hatten. Davon ausgehend könnte vielleicht ein Kardiologe gewonnen werden, vielleicht ein Gastroenterologe und andere Fachärztinnen und Fachärzte.

Das Konzept überzeugte nicht nur Hertin, Gruschka, Bürgermeister Mühling, den Kirchenvorstand und andere Meinungsführer im Ort, sondern auch die Bevölkerung. Anette Droste-Splitt, damals  Vorstandsmitglied des Kneipp-Vereins in Balve, urteilt: „Man merkte von Anfang an: Das hat Hand und Fuß. Und die Balver waren total erleichtert, dass es auf diese Weise weiterhin eine medizinische Versorgung in Balve geben und aus dem Krankenhaus keine Ruine würde“. Sie selbst reagierte sofort: „Wir suchten gerade Räume für unsere Gymnastikgruppen, da habe ich den Herrn Jakschies gleich angerufen“.  

06: Bürgerstiftung und Bürgergesellschaft

Doch bevor die vielen Ideen Realität werden konnten, mussten eine Reihe von Fragen geklärt werden: Wer würde einen solchen Gesundheitscampus betreiben? Und wie sollte man überhaupt in den Besitz der Immobilie kommen? Und wer überhaupt? Das Haus gehörte ja nach wie vor den KKiMK. Schnell wurde klar: Aufgrund der öffentlichen Fördergelder, die in dem Krankenhaus steckten, würde es nur an eine gemeinnützige Organisation abgegeben werden können, eine Stiftung beispielsweise.

„Eine Stiftung zu gründen, dauerte uns zu lange“, erzählt Jakschies. So seien sie auf die Idee gekommen, eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft (UG) zu eröffnen – mit zwei Gesellschaftern. Neben Hertin stellte sich Engelbert Prinz von Croy zur Verfügung: „Als Wilhelm Hertin mich fragte, ob ich bereit war, mich an der „Balver Bürgergesellschaft“ zu beteiligen, habe ich sofort zugesagt. Man kann ja nicht einerseits fordern, dass es hier medizinisch weiter geht, und dann kneifen, wenn es konkret wird“. Außerdem sei das Risiko überschaubar gewesen, das Gründungskapital betrug nur 1000 Euro. Geschäftsführer wurde Alfons Rath. Parallel wurde die Bürgerstiftung gegründet. Die ist heute aus Balve nicht mehr weg zu denken – gegründet für den Campus, unterstützt sie heute viele soziale Projekte im Ort. Es ist das, was Mühling meint, wenn er sagt: „Am Anfang war es Herr Hertin, der sehr schnell sagte: Wir müssen was machen, Herrn Gruschka freistellte und Herrn Jakschies holte. Aber dann erweiterte sich das schnell, der Kirchenvorstand wurde aktiv und andere gesellschaftliche Kräfte. Das waren die, die schon immer in Balve engagiert waren.“ 

07: Eine Konstruktion entsteht

Doch zurück zum Krankenhaus: Nach zähen Verhandlungen stimmte die KKiMIK schließlich zu, die Klinik samt Inventar für rund 300.000 Euro an die UG zu verkaufen. Der Förderverein des St.-Marien-Hospitals brachte die 90.000 Euro ein, die er noch auf dem Konto hatte, die Volksbank spendete 100.000 Euro und weitere 80.000 Euro kamen durch Einzelspenden zusammen.

Nun brauchte man noch ein Unternehmen, das die Geschäfte führte. Jakschies erzählt: „Da hatte Willi Hertin die nächste geniale Idee: Wir gründen eine GmbH und Co KG, für die wir Kommanditisten suchen, die jeweils 25.000 bis 50.000 Euro einbringen. Jakschies, Gruschka und Hausarzt Dr. Paul Stüeken jun. waren die Ersten. Aber es kamen acht weitere Balver hinzu: vor allem Ärzte, aber auch ein Lehrerehepaar und ein Versicherungsmakler. Inzwischen hat die UG das Gebäude längst der Balver Bürgerstiftung übergeben, und die vermietet es an die Campus GmbH. Die wiederum ist dafür verantwortlich, dass der Campus mit Leben gefüllt ist und sich das Modell trägt. „Ich bin stolz, dass wir seit zehn Jahren ohne einen Cent öffentlicher Unterstützung auskommen“, sagt Jakschies.

Während all dieser Gespräche und Pläne wurde das Krankenhaus zu einem gespenstischen Ort, zu einer Art „Lost Place“, wie Dorothee Herde sagt. Nach dem Klinik-Aus, als Patienten und Personal das 5600 Quadratmeter große Gebäude an der Sauerlandstraße verlassen hatten, blieben nur die Physiotherapeutin mit ihrer Praxis sowie in einem Nebengebäude die internistische Praxis übrig. Seit 1994 hatte Dorothee Herde im Krankenhaus eine Praxis für Physiotherapie aufgebaut, versorgte Balver, die aus dem Ort zu ihr kamen sowie Patienten des Krankenhauses und hatte inzwischen zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nun plagten sie Existenzsorgen. Aber weil niemand ihren Mietvertrag kündigte, blieb sie einfach und behandelte mit ihrem Team weiter die Balver, die den Weg zu ihr fanden. „Ungefähr ein Jahr ging das so. Das war schon gespenstisch“, erzählt sie. Ein Wachdienst passte auf, dass niemand sich des Gebäudes bemächtigte oder Inventar entwendete  

08: Das Leben kehrt zurück

Umso größer war ihre Freude, „als dann Stück für Stück das Leben zurückkam“. Die ersten Mieter nach ihr wurden dann tatsächlich die zwei Internisten, die in der Klinik Belegbetten gehabt hatten und nun in das Haupthaus zogen. Jakschies musste dafür allerdings einen Umweg gehen: Er suchte ein Krankenhaus, das Interesse hatte, sich in Balve zu engagieren. In Unna wurde er fündig – die kauften den Internisten ihre Sitze ab, stellten sie an und betreiben heute im Campus ein zum „Hospitalverbund MVZ“ gehörendes Medizinisches Versorgungszentrum, in dem neben Internisten auch Kardiologen und eine Gastroenterologin arbeiten. Nephrologen und Diabetologen aus Menden kamen hinzu und bieten zusammen mit einer Hausärztin einmal pro Woche Sprechstunden hier an, Orthopäden aus Menden kommen dreimal die Woche.  

Und so füllte sich Wabe für Wabe, zu der Medizin kam die Pflege, die Wohngemeinschaften, die anderen therapeutischen Angebote. „Es war toll zu erleben, wer da alles kam. Am Anfang hatten wir regelmäßige Treffen, das war sehr sinnvoll“, erzählt Dorothee Herde. Sie war am Anfang skeptisch, ob das Konzept funktionieren würde: „Ich hatte Zweifel, dass sich genügend Ärzte und andere Einrichtungen finden, die nach Balve kommen. Und ich trauerte dem Krankenhaus hinterher – uns fehlt einfach eine Akutversorgung bei Notfällen.“ Inzwischen versorgt sie mit ihren zehn Mitarbeitenden neben den Balvern, die zu ihr kommen, den Campus: Auch die Patienten auf der Beatmungsstation und die Bewohner der Demenz WG brauchen Physiotherapie.

Auch der Kneipp-Verein bekam die gewünschten Räume – zunächst für einige Gruppen Wirbelsäulengymnastik. Hinzu kamen Entspannungskurse, später ein Gussraum, ein Kräutergarten. Wellness-Abende, Kindergeburtstage, Junggesellinnenabschiede.  

09: „Die Balver sind dankbar für den Gesundheitscampus“

Der Kneipp-Verein war der erste Mieter, der in Jakschies Konzept dem Bereich des bürgerschaftlichen Engagements zuzurechnen war. Es kamen mehrere Selbsthilfegruppen hinzu und der Reha-Sport-Verein Balve e.V., der an sechs Tagen pro Woche insgesamt um die 25 Kurse anbietet. Dessen 1. Vorsitzende Maria Jonen, findet, dass der Campus „vor allem für die Älteren eine Anlaufstelle in Balve geworden ist, die es früher hier nicht gab“. Und fügt hinzu: „Auch wenn es Menschen in Balve gibt, die das Krankenhaus noch vermissen“.  

Bürgermeister Mühling fasst es so zusammen: „Die Balver sind dankbar für den Gesundheitscampus“. Einige hingen zwar immer noch dem Krankenhaus nach, aber die meisten fänden das breit gefächerte Angebot sehr gut. Der Ort hätte jetzt „mehr medizinische Versorgung, als wir jemals hatten. Orthopäden, Diabetologen, eine Demenzstation – all das gab es doch hier früher nicht“. Auch das Sanitätshaus sei ein Plus: „Früher musste man für Einlagen 30 Kilometer nach Iserlohn fahren, jetzt haben wir das hier.“  

Hausarzt Dr. Paul Stüeken jun., war ebenfalls angetan von dem neuen Konzept und ist es bis heute – nicht zufällig hat er sich sofort als Kommanditist beteiligt. Die Stadt profitiere „ganz ungemein“ vom Campus: „Wir haben ja hier viele Ältere. Wenn die zu einem Facharzt müssen, den wir hier nicht haben, ist das oft sehr aufwändig. Deshalb ist es so gut, dass wir jetzt hier die Orthopäden und Gastroenterelogen und Kardiologen haben.“ Mit dem Krankenhaus ließe sich das trotzdem nicht vergleichen: „Es gibt einfach nicht mehr die Notfallversorgung, die die Klinik geboten hat. Es ist einfach etwas anderes“, sagt er und spricht damit ein Manko ein, das immer wieder anklingt, wenn man die Menschen in Balve nach dem Campus befragt. Der Kontakt des Hausarztes zu den Kolleginnen und Kollegen im Campus sei sehr gut. Stüeken kommt aus Balve, ist hier aufgewachsen und hat im Krankenhaus seine ersten Praktika gemacht, „ich kannte da jeden“. Für sein Studium und die Facharztweiterbildung verließ er das Sauerland. Aber als dann eine Niederlassung in eigener Praxis anstand, entschied sich die Familie, zurück in Stüekens Heimat zu gehen und irgendwann die Hausarztpraxis des Vaters – Dr. Paul Stüeken sen. – zu übernehmen. So ist es inzwischen gekommen. Auch der Vater war für den Prozess um den Campus eine der zentralen Figuren. 

10: Die Erfolgsfaktoren

Was aber waren die Faktoren, die den Prozess in Balve zu einem Erfolg gemacht haben und was ließe sich daraus ableiten? Man erhält auf diese Frage in Balve immer wieder ähnliche Antworten:  

Man braucht für so einen Prozess eine starke Persönlichkeit, die die Verantwortung und die Initiative übernimmt. Dieses Alphatier war Herr Hertin. Wichtig war auch der Kirchenvorstand, und dass wir ein so homogenes Gremium waren. Auch die Vereine haben eine Rolle gespielt, beispielsweise die Schützenbruderschaft und auch die Bürgerbewegung „Rettet das Marienkrankenhaus“, die auch schnell verstanden haben, dass das Krankenhaus erledigt ist.“ Und natürlich hätten die Vereinsstrukturen geholfen, die Arbeit auf viele Schultern zu verteilen. So sieht es Martin Gruschka.

Und auch Anette Droste-Splitt sagt: „Für unseren Prozess war entscheidend, dass wir den Herrn Hertin hatten, und dass der den Herrn Jakschies gefunden hat“. Wichtig sei aber auch das Netzwerk vor Ort gewesen: „Durch die vielen Vereine und die Kirche sind alle mit der Politik vernetzt.“ Stüeken jun. fasst es so zusammen: „Es gab erst einen Riesenaufstand gegen die Schließungspläne. Aber dann war klar: Wir kommen dagegen nicht an, man muss jetzt vorwärts und in eine andere Richtung denken. Die Schließung ging dann schnell und unschön vonstatten. Aber dann hat man sich schnell und konstruktiv zusammengetan und gute Lösungen gefunden. Das ist ganz typisch für Balve.“

Bürgermeister Mühling sieht auch in der Bürgerstiftung einen wichtigen Faktor für die Akzeptanz: „Es ist gut, dass nicht ein Einzelner einfach das Krankenhaus gekauft hat, sondern dass es über die Bürgerstiftung diese breite gesellschaftliche Beteiligung gab und jeder sich einbringen konnte.“  

11: Balve: Eine starke Gemeinschaft

Und so sind die Menschen dem verstorbenen Hertin dankbar, aber auch Jakschies: „Den hat der Herrgott geschickt“, sagt beispielsweise Engelbert Prinz von Croy. Weitere Faktoren für den Erfolg sieht er auch in den Hausärzten, die ihre Patienten zu den Kollegen im Campus schickten und darin, dass die Balver den Campus so gut angenommen hätten. „Das hätte auch anders laufen können“.

Immer wieder erwähnt wird auch die lokale Presse. „Eine wichtige Rolle hat ein Lokaljournalist gespielt. Der war sehr umtriebig und hat das Projekt immer sehr positiv begleitet“, sagt etwa Dr. Paul Stüeken jun. Er hält außerdem für entscheidend, dass man sich bei dem Projekt nicht für eine Spezialisierung entschieden hat, sondern dafür, breite Schichten anzusprechen. Dabei profitierten die einzelnen Akteurinnen und Akteure voneinander: Wenn beispielsweise die Internistin mal eben gerufen werden kann, oder wenn beispielweise der Verein Rehasport einmal die Woche Sport für die Demenzkranke anbietet, die sowieso in der Tagespflege oder im Demenz-Café auf dem Campusgelände sind. Oder wenn der Kneipp-Verein den Wachkomapatienten Wadenwickel macht. „Das ist das Gold – das macht den Unterschied“, sagt Jakschies. Und der ist ausdrücklich beabsichtigt.

Dass der Verlust des Krankenhauses letztlich also zu etwas Neuem geführt hat, das in den Augen der meisten etwas Gutes ist, liegt wohl an einer besonderen Mischung aus starken Einzelpersonen und der Balver Gemeinschaft, ihrem Zusammenhalt und ihrem Pragmatismus. 

Video

Balve - Umwandlung einer Landklinik in einen Gesundheitscampus

Ein Film zeigt, was alles erreicht wurde und lässt Beteiligte erzählen, wie sie es gemeinsam geschafft haben, das Gebäude eines geschlossenen Krankenhauses zu neuen Leben zu erwecken. 

Interview

Interview mit
Alfons Rath & Ingo Jakschies

„Der Campus sollte ein Ort werden, 
zu dem die Menschen aus Balve gerne kommen“ 

Interview mit Ingo Jakschies, Projektentwickler im Gesundheitswesen und in Balve geschäftsführender Gesellschafter der Gesundheitscampus Sauerland GmbH und mit Alfons Rath, ehemaliger Rendant im Kirchenvorstand der St. Blasius Gemeinde in Balve.

Alfons Rath
Ingo Jakschies

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Hatte sich die Schließung des Krankenhauses lange angekündigt? 

 

RATH
Wir hatten als Kirchenvorstand schon einige Male vorher das Gefühl, dass das im Busch ist und haben dann den Geschäftsführer des Klinikträgers mehrfach eingeladen und gebeten zu sagen, was Sache ist. Da hat der gesagt es müsse umstrukturiert, beispielsweise auf den OP verzichtet werden, dann hätten wir keine Probleme mehr. Gerüchte über eine geplante Schließung gab es trotzdem. Aber als sie dann verkündet wurde, war das schon ein dicker Knall.

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Aber es hatte doch kurz vorher noch Investitionen in das Haus gegeben. 

 

RATH
Ja, das hat die Leute ja so irritiert.
 

JAKSCHIES
Wir konnten die Entscheidung nicht nachvollziehen, aber letztlich hat sie dazu geführt, dass wir es mit einem Haus mit sehr guter Substanz zu tun hatten.  

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wurde das Krankenhaus vorher gut angenommen von der Bevölkerung? 

 

RATH
Wir sind es gewohnt weite Wege zu haben, wenn es um Fachärzte ging. Aber die Erstversorgung, die war hier wichtig. Es war eben selbstverständlich, dass man mit Notfällen nach Balve kommen konnte und zur Not weiter geschickt wurde. Und das Krankenhaus hatte ja hier eine sehr lange Tradition. Die Familie von Landsberg hat 1550 das erste Krankenhaus eröffnet.

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Welche Art von Notfällen wurden denn hier versorgt? 

 

JAKSCHIES
Echte Notfälle, beispielsweise ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall oder ein Polytrauma - die kamen schon seit 10 Jahren vor der Schließung nicht mehr nach Balve, sondern in spezielle Zentren. Häufig meinen die Menschen mit Notfällen einen Knochenbruch oder eine größere Wunde – das  sind allerdings keine Notfälle im Sinne der Notfallversorgung. Da kann man eine 30-minütige Fahrzeit ohne weiteres rechtfertigen – das geht ja leider ganz vielen Menschen auf dem Lande so. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Herr Jakschies, Sie sind ja zur Rettung des Krankenhauses nach Balve gerufen worden, haben den Menschen dann aber schnell gesagt, dass das keinen Sinn habe. Wie kam es dazu? 

 

JAKSCHIES
Wenn der Moment überschritten ist, dann ist er überschritten. Die Entscheidung des Trägers, das Krankenhaus zu schließen, war ja gefallen, völlig ohne die Menschen vor Ort einzubeziehen. Insofern war auch klar, dass der Protest wirkungslos sein würde. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wie haben Sie diese Überzeugung kommuniziert? 

 

JAKSCHIES
Ich war bei einer ersten Veranstaltung in der Kirche, beim Kirchenvorstand: Da habe ich gleich gesagt, dass man nicht an dem Krankenhaus festhalten, sondern sich stattdessen darauf ausrichten sollte, sich ambulant neu aufzustellen. Ich habe es einfach gesagt: Das ist so, das ist jetzt erledigt. Der Träger hat den Auftrag zurück gegeben. Er hat ja sogar Geld dafür kassiert, dass er die Betten abgebaut hat. Das hat überzeugt. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Haben Sie deshalb so schnell ein neues Konzept vorgelegt? 

 

JAKSCHIES
Ja, mir war klar, dass es keinen Weg zurück gibt. Und dann ist wichtig, dass man bei dieser Art von Prozessen schnell ist. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Warum? 

 

JAKSCHIES
Aus zwei Gründen: Was nicht flott passiert, wird tot geredet. Der Spruch ,Das Eisen muss man schmieden, so lange es heiß ist´– der stimmt.  

Der andere Grund sind die Mitarbeiter: Die sind natürlich zutiefst verunsichert, und die Besten gehen zuerst. Und die müssen wir halten. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Ist Ihnen das in Balve gelungen? 

 

JAKSCHIES
Ja, das waren beispielhaft die zwei Internisten, die im Krankenhaus Belegbetten gehabt hatten, und diese Ärzte wollte  ich unbedingt halten, als Herzstück für das neues Konzept. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Das Krankenhaus in Balve hatte ja auch eine funktionierende Chirurgie – warum haben Sie die nicht in das neue Konzept integriert? 

 

JAKSCHIES
Wenn bei einer Operation etwas schief geht, und man hat dann nicht den Apparat eines Krankenhauses für die Notfallversorgung hinter sich, kann das böse ausgehen. Deshalb habe ich mich von der Idee schnell verabschiedet. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Und war es leicht, die Menschen von Ihrem Konzept des ambulanten Zentrums zu überzeugen? 

 

RATH 
Herr Jakschies hat da so Bierdeckel auf den Tisch gelegt und hat uns das Wabensystem erklärt: Immer wenn es an einer Ecke nicht weitergeht, machen wir an einer anderen weiter. Das hat mich noch an dem Abend überzeugt.


JAKSCHIES
Das Wabensystem ist meine Hausmarke geworden. Ich konnte natürlich nicht prognostizieren, dass es im Bereich der internistischen Medizin weiter geht. Aber ich hatte die Vorstellung, mit denen anzufangen. Vielleicht käme dann ein Kardiologe dazu, vielleicht auch nicht. Wir fangen mit einem engeren Zirkel an und schauen dann mal, wie die Waben sich entwickeln. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Und so ist es dann ja auch gekommen. 

 

JAKSCHIES
Ja, der Umzug der Internisten in das Hauptgebäude  war der entscheidende Wendepunkt. Da konnte man sehen, dass tatsächlich etwas Neues entsteht. Wir haben uns entschieden, auf das aufzusatteln, was die Klinik hatte. Und die war beispielsweise in der Kardiologie und auch in der Gastroenterologie mit Darm- und Magenspiegelungen gut aufgestellt. Dafür war ja alles da, es gab die Geräte. Das Krankenhaus war ja wirklich in einem guten Zustand. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Sind denn alle Ihre Ideen gleich angenommen worden? 

 

JAKSCHIES
Oh nein. Es ist nicht so, dass alle immer gleich alle Vorschläge gut fanden. Bei der Demenz Wohngemeinschaft (WG) haben beispielsweise viele gesagt: So einen Quatsch brauchen wir hier nicht. Wir sind ja hier auf dem Land und da ist es üblich, dass man die alten Menschen zu Hause behält und sie pflegt. Die Demenz WG war dann allerdings voll, noch bevor sie eröffnet wurde. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Haben Sie das Konzept für den Campus eigentlich alleine und ohne Bürgerbeteiligung entwickelt? 

 

JAKSCHIES
Schon in einem engeren Zirkel, aber ich würde es heute anders machen und tatsächlich mit einer Bürgerbeteiligung starten. Ich habe seit einigen Jahren Kontakt zu einer Stiftung, in der Bürgerbeteiligung geübt wird. Es war mir immer wichtig, die Leute mitzunehmen. Heute noch mehr als damals. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Gab es Bürgerversammlungen auf denen Sie das Konzept vorgestellt haben? 

 

JAKSCHIES 
Ich habe eher auf das Konzept der Stakeholder gesetzt, wie beispielsweise die Schützenbruderschaft. Da sind in Balve alle wichtigen Leute Mitglied. Ich war auch häufiger im Kirchenvorstand, im Rat, beim Einzelhandelsverband. Bei allen diesen Versammlungen habe ich  immer die Karten gelegt und das Konzept erklärt. Eine Bürgerinformation gab es schon, ich weiß nicht, ob die so hilfreich war. Aber nach sechs Monaten „der Tag der offenen Tür“, das war sehr wichtig, weil wir zeigen konnten, was schon erreicht wurde und was geplant ist. Das hat die Menschen mitgenommen.  


RATH 
Wichtig für den Prozess war auch die örtliche Presse. Die hat das immer sehr konstruktiv begleitet. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wenn Sie die Erkenntnisse generalisieren sollten - was braucht man noch für einen solchen Prozess? 

 

JAKSCHIES 
Man braucht einen Zeitplan, in dem auch ein Punkt steht, ein Datum. Nur dann dreht sich das Rad schnell und man kommt zum Ergebnis. In diesem Fall hatte Willi Hertin den Zeitpunkt vorgegeben. Das war klug. Er hat immer gesagt: So, bis zum Ende des Jahres muss das hier über die Bühne gegangen sein; eben ein echter „Unternehmer“.  

Und noch etwas ist wichtig: Es muss klar sein, wer den Hut aufhat, wer Entscheidungen trifft und verantwortlich ist. Denn das Sprichwort: Misserfolg ist ein Waisenknabe, Erfolg hat viele Väter das haben wir hier auch erlebt. Es kommen immer noch Leute aus den Ecken die sagen: Ohne uns würde es das alles nicht geben, dabei haben die höchstens flankierend etwas gemacht, aber nichts Entscheidendes beigetragen. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Gab es eine Kommunikationsstrategie? 

 

JAKSCHIES
Das war – ehrlich gesagt – gar keine Strategie – sondern es war Menschlichkeit. Kommunikation und gegenseitiges Verständnis sind in solch einer Phase der Transformation von enormer Bedeutung. Man muss einfach immer wieder sprechen. Das kann ich gar nicht genug betonen. Ich rede lieber mit zu vielen Leuten als mit zu wenigen. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wie meinen Sie das? 

 

JAKSCHIES
Ich bin beispielsweise zur Bezirksregierung gefahren und habe mehrfach von dem Projekt berichtet, obwohl die damit eigentlich gar nichts zu tun haben. Aber es kann ja nicht schaden, wenn sie Bescheid wissen. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Warum ist Ihnen das bürgerschaftliche Engagement als Teil des Konzeptes so wichtig?

 

JAKSCHIES
Es war mir ganz wichtig, die Bevölkerung einzubinden. Der Campus sollte ein Ort werden, zu dem die Menschen aus Balve gerne kommen – nicht nur, wenn sie ein medizinisches Problem haben. Das haben wir geschafft, indem wir den Rehasport einbezogen haben, den Kneippverein, Selbsthilfegruppen und die Demenzbetreuungsgruppe. Da wurden beispielsweise über 100 Menschen zu Demenzhelfern ausgebildet. Und dann haben wir Rehasport und Demenz miteinander vernetzt. Da hat sich jetzt eine tolle Sportgruppe für Demente gebildet. Und Mitglieder des Kneipp Verein machen mit den Intensivpatienten Wadenwickel – in dieser Vernetzung liegt das Gold. Wer sich hier einmietet, verpflichtet sich auch, an einem moderierten Prozess der Zusammenarbeit teilzunehmen. Das macht den Unterschied.  

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Ging es bei der Entwicklung eigentlich immer nur voran? 

JAKSCHIES
Oh nein, es gab auch Rückschläge. Beispielsweise als ein Hausarzt seine schon öffentlich gemachte Zusage, in den Campus zu ziehen, wieder zurück zog. Und es gab auch Disziplinen, die ich mir für den Campus wünsche und die wir noch nicht haben, beispielsweise HNO oder Schmerztherapie, eine Ernährungsberatung. Aber ich arbeite weiter daran. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Gibt es Ideen für die weitere Entwicklung des Campus? 

JAKSCHIES 
Natürlich. Ich wünsche mir eine Art Pflegeeinrichtung, wo Patienten beobachtet werden können, so eine Art Cottage Hospital mit 40 bis 50 Betten. Da könnte man beispielsweise Patienten unterbringen, die nach der Entlassung aus dem Krankenhaus noch nicht nach Hause können oder die aus anderen Gründen beobachtet werden sollten. Aber auch Palliativversorgung und Kurzzeitpflege wären denkbar. Aber das ist noch Zukunftsmusik. 

HEALTH TRANSFORMATION HUB
Was raten Sie Politikern, die sich in der Situation befinden, dass ihr örtliches Krankenhaus geschlossen wird? 

 

JAKSCHIES
Ich rate dazu, sich schnell mit Alternativen zu beschäftigen und nicht lange gegen das Unabänderliche zu kämpfen. Es ist doch für einen Landrat viel besser, wenn er sich hinstellen und sagen kann: ,Wir machen etwas ganz Neues, hört Euch das mal an´, als wenn er nur mitzuteilen hat: ,Das Krankenhaus wird geschlossen´. 

Kontakt

Ihre Ansprechpartner  

rund um die Projekte zum Thema Transformation von Versorgungsstrukturen im Gesundheitssystem

Dr. Johannes Leinert
Dr. Johannes Leinert

Senior Project Manager
Bertelsmann Stiftung

Dr. Christian Schilcher
Dr. Christian Schilcher

Project Manager
Bertelsmann Stiftung