Unser Gesundheitssystem ist überlebenswichtig.
Wir alle zählen auf ein leistungsfähiges System, das nicht nur Leben schützt, sondern das Leben in Deutschland gesund und lebenswert macht.
Versorgungsstrukturen umbauen
Wadern
Auf dem Weg von einem Krankenhaus zu einer sektorübergreifenden Versorgungseinheit
Strategie
Das Problem
Das Krankenhaus in Wadern wurde geschlossen, ohne eine Idee oder ein Konzept für die Zeit danach zu haben.
Die Bürgerinitiative bringt sich ein
In einer Stadtratssitzung fühlten sich viele Waderner Bürger von den Vertretern der Landesregierung nicht ernst genommen mit ihrer Befürchtung, künftig im medizinischen Notfall nicht mehr versorgt zu werden. Sie nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand und wurden aktiv: Sie gründeten eine breit getragene Bürgerinitiative, die nicht nur protestieren, sondern gestalten will und seitdem Ideen und Vorschläge für ein Versorgungskonzept entwickelt und mitgestaltet.
Das neue Versorgungskonzept
Auf dem ehemaligen Klinikgelände soll in Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten ein ambulant-stationäres, niedrigschwelliges Versorgungsangebot entstehen. Vorgesehen ist eine Akutversorgung mit Basisdiagnostik und Therapie für kleinere Eingriffe sowie eine erweiterte sektorenübergreifende Versorgung für internistische Erkrankungen.
Schritte nach vorne
Bürgermeister und Bürgerinitiative sind sich einig, ergänzen sich und sind beharrlich. Und das zeigt Wirkung auf der landespolitischen Ebene. So kommt es, dass über ein Interessenbekundungsverfahren ein Träger für die geplante Einrichtung gefunden wird.
Der aktuelle Stand
Das Bauvorhaben ist durch die Stadtverwaltung Wadern genehmigt, das Land hat Unterstützung bei den Investitionen zugesagt. Allerdings fehlt noch ein Modell zur dauerhaften Finanzierung der Betriebskosten für das sektorenübergreifende Versorgungskonzept. Deshalb lässt der erste Spatenstich weiter auf sich warten.
Über Wadern
Im Saarland
ca. 15.700 Einwohner
111,14 km²
Eine Saarländische Kleinstadt im Dreiländereck
Wadern ist eine Kleinstadt und wird dem ländlichen Raum zugerechnet. Das Durchschnittsalter aller Personen in der Kommune beträgt 47,6 Jahre, bundesweit liegt es bei 44.7 Jahren. Die Bevölkerungszahl hat seit dem Jahr 2011 um 2,7 % abgenommen, bundesweit hat sie seitdem um 3.6 % zugenommen. Die über die letzten 4 Jahre gemittelten Steuereinnahmen der Kommune betragen im Jahr 2021 im Durchschnitt 843 Euro pro Einwohner, bundesweit lagen sie bei 1.443 Euro pro Person.
Wadern gehört zum Landkreis Merzig-Wadern. Im Landkreis leben rund 103.000 Einwohner auf einer Fläche von 556,66 km²; was eine Bevölkerung von 186 Personen je km² ergibt.
Die größte Kommune des Kreises ist die ca. 30 km von Wadern entfernte Stadt Merzig mit knapp 30.000 Einwohnern. Die Großstadt Saarbrücken ist rund 50 km von Wadern entfernt.
Alle Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2021. Quellen: wegweiser-kommune.de, destatis.de, statistikportal.de. Ausführliche Hinweise zu den Quellen finden Sie auf der Seite zur Datengrundlage.
Veranstaltung der Bürgerinitiative
Rückbau, Nov. 2020
Modell der SHG-Klinik Hochwald
Modell der SHG-Klinik Hochwald
Reportage
Die Macht der höflichen Bürger
Im nördlichen Saarland kann man sehen, was sich bewegen lässt, wenn alle sich bewegen
und wie eine Bürgerinitiative dabei entscheidende Impulse gibt
01: Krankenhaus in Wadern: Das Aus
Als die Marienhaus GmbH am 6. Juni 2017 verkündete, dass zum Ende des Jahres ihr Krankenhaus in Wadern geschlossen werden sollte, fand Bernd Schröder das erstmal gar nicht schlimm. Er war sowieso so gut wie nie krank. War zweimal kurz in der St.-Elisabeth-Klinik gewesen, das hatte ihn wenig beeindruckt. Und wenn er doch mal stationär behandelt werden müsste, dann sicher nicht in dem kleinen Krankenhaus in seiner Heimatstadt – er hatte keine hohe Meinung von der Klinik. Aber dann war da diese öffentliche Sitzung des Stadtrates, auf der viele Waderner sich von den anwesenden Vertretern der Landesregierung nicht ernst genommen fühlten in ihrer Sorge, in medizinischen Notfällen künftig nicht mehr versorgt zu sein. Für Bernd Schröder war diese Sitzung ein Wendepunkt, und für die ganze Region vielleicht auch. Denn wer weiß, wie es weitergegangen wäre, wenn Bernd Schröder nicht die Führung der Bürgerinitiative (BI) „Nordsaarlandklinik“ übernommen hätte, deren Vorsitzender er seit nunmehr fünf Jahren ist, die inzwischen knapp 900 Mitglieder hat und über die Politiker und Klinikmanager im nördlichen Saarland sagen: „An der BI kommt niemand vorbei. Ohne die geht hier gar nichts“.
In diesen Worten schwingt Anerkennung mit, aber auch ein bisschen Resignation – je nach Gesprächspartner mehr von dem einen oder mehr von dem anderen. Und es stimmt wohl, was viele in der Region sagen: Ohne die BI wäre die Geschichte vermutlich längst zu Ende, das 88 Betten-Krankenhaus im nördlichen Saarland nur noch Teil der kollektiven Erinnerung.
02: Konzept für etwas Neues
So aber soll auf dem alten Gelände nun etwas völlig Neues entstehen: das „Hochwaldklinikum“. Ein sektorenübergreifendes niederschwelliges Versorgungsangebot, betrieben von der Saarland Heilstätten GmbH (SHG), zusammen mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten: Ab 2024 ist nach Angaben des saarländischen Sozialministeriums für den Standort im aktuellen Krankenhausplan eine Kapazität von 30 Betten sowie 20 tagesklinischen Plätzen vorgesehen. Neben zwei psychiatrischen Tageskliniken für Erwachsene sowie für Kinder- und Jugendliche, soll es ein medizinisches Versorgungszentrum mit fünf Arztpraxen (Allgemein-/ Innere Medizin, Chirurgie/Orthopädie, Neurologie/Psychiatrie und der Gynäkologie) geben. Weiter soll eine Akutversorgung mit Basisdiagnostik und Therapie von kleinen Eingriffen sowie eine erweiterte ambulant/stationäre Versorgung bei internistischen Erkrankungen vorgehalten werden. Es soll ein Angebot werden, wie es sich die Politik wünscht: sektorenübergreifend, interdisziplinär, innovativ, vielleicht ein Modell auch für andere Regionen. Es soll etwas werden, von dem Daniela Schlegel-Friedrich, Landrätin des Landkreises Merzig-Wadern sagt: „Aus der Krisensituation ist etwas Neues entstanden und etwas, das besser am Bedarf orientiert ist als das, was da vorher war.“ Die Pläne sind fertig, es fehlt nur noch die Finanzierung. Denn bei allen politischen Bekenntnissen für sektorenübergreifende Versorgung gibt es dafür noch immer keine Rechtsgrundlage.
Was in Wadern passiert ist, ist ein Beispiel für das, was sich entwickeln kann, wenn alle sich bewegen. Denn das geplante Hochwaldklinikum ist eigentlich nicht das, was die Bürgerinitiative gefordert und auch nicht das, was das Ministerium in seinen Ausschreibungen vorgesehen hatte.
Trotzdem sind alle Beteiligten mit der Entwicklung zufrieden und verknüpfen Hoffnungen damit. Dass das neue kleine Krankenhaus auf jeden Fall eine Verbesserung gegenüber dem momentanen Nichts darstellt und am Ende vielleicht doch noch zu einem Größeren ausgebaut wird, hofft die Bürgerinitiative. Dass das neue kleine Krankenhaus eine Blaupause für andere ländliche Regionen wird und ein wichtiges Puzzleteil für die Versorgung der Menschen im Einzugsbereich der SHG darstellen wird, hofft der Klinikträger. Dass die Investitionen Wadern als Stadt und auch als Gesundheitsstandort voranbringen, hofft der Bürgermeister.
03: Saarland: Krankenhäuser mit Tradition
Wie es dazu gekommen? Das Saarland ist traditionell eine Region mit besonders vielen und eher kleinen Krankenhäusern – bundesweit liegt das kleine Bundesland mit knapp 699 Betten pro 100.000 Einwohnern hinter Bremen und Thüringen auf Platz 3 und weit über dem Bundesdurchschnitt von 587 Betten pro 100.000 Einwohnern2. Viele dieser meist eher kleinen Kliniken wurden vor langer Zeit von Hütten oder von Unternehmen für die eigene Mitarbeiterschaft und deren Familien gegründet. So wurde beispielsweise das heutige Herzzentrum Saar, das zur SHG gehört, 1899 als Betriebskrankenhaus der Erzverhüttungsanlage „Röchlingsche Eisen und Stahlwerke“ gebaut. Und die heutige DRK Klinik Mettlach für Geriatrie und Rehabilitation gehörte bis 1988 zum Keramikwarenhersteller Villeroy & Boch.
Inzwischen sind viele dieser Kliniken in privater oder freigemeinnütziger Trägerschaft, jedenfalls nicht im kommunalen Besitz – der Einfluss der Politik ist deshalb begrenzt. Und so konnte die Marienhaus GmbH am 6. Juni 2017 auch einfach verkünden, dass sie beabsichtige, zum Ende des Jahres ihr St. Elisabeth-Krankenhaus in Wadern schließen zu wollen. Sie begründete das mit jährlichen Defiziten in Millionenhöhe. Marienhaus ist ein kirchlicher Träger, der auf den Waldbreitbacher Franziskanerinnen-Orden zurück geht und aktuell 11 Kliniken an 16 Standorten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland betreibt, aber auch Alten- und Pflegeheime, Kinder-, Jugendhilfe- und Bildungseinrichtungen sowie Hospiz-Dienste.
04: Gescheiterte Bemühungen
Der Entscheidung zur Schließung des Krankenhauses von Wadern waren jahrelange Bemühungen vorangegangen, so viele Standorte des Trägers wie möglich in der Region zu sichern. So hatte man schon Jahre zuvor aus den Marienhaus-Kliniken in Wadern und Losheim ein Krankenhaus mit zwei Standorten gemacht. Noch 2016 hatte man diese, die ebenfalls zur Marienhaus Gruppe gehörende Klinik in Hermeskeil und die kleine Klinik eines anderen Trägers in Lebach zu einem „Klinikverbund Hochwald-Saar“ zusammengeschlossen, um sie zukunftssicher zu machen. Inzwischen ist nicht nur die Klinik in Wadern, sondern auch die in Losheim geschlossen.
Dass es wirtschaftlich nicht zum Besten steht, war den Menschen in der Region also schon länger klar. Und so hat das Aus der Klinik in Wadern wohl viele nicht völlig unvorbereitet getroffen. Aber es hat sie dennoch erzürnt: „Was den Leuten vor allem sauer aufgestoßen ist, waren diese Durchhalteparolen in den Jahren zuvor. Da war immer wieder betont worden, wie wichtig die Häuser seien und dass nun die Weichen gestellt wären“, sagt Christian Beckinger Redakteur der Saarbrücker Zeitung in Merzig.
Auch Jochen Kuttler, parteiloser Bürgermeister von Wadern, sagte in einem Interview in der Saarbrücker Zeitung: „Die geplante Schließung des Krankenhauses ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Bankrotterklärung wirtschaftlich verantwortungsvollen Handelns und eine Hiobsbotschaft, die weit über die Stadt Wadern hinaus für Verbitterung, Enttäuschung und eine Menge Wut sorgen wird.“ Die Marienhaus GmbH habe den Standort runtergewirtschaftet.
05: Die Wut organisiert sich
Und so reichten die über 1000 Stühle nicht aus, als es am 22. Juni 2017 in einer öffentlichen Sitzung des Waderner Stadtrates in der örtlichen Veranstaltungshalle um die Schließung der Klinik ging.
Es war diese Sitzung, die vielleicht anders ausgegangen wäre, wenn die Waderner das Gefühl gehabt hätten, die extra aus Saarbrücken angereiste Politik stände an ihrer Seite: „Ich hätte mir gewünscht, dass die etwas gesagt hätten wie: ,Ach ja, ihr Waderner, jetzt seid Ihr im Stich gelassen worden - lasst uns gemeinsam eine andere Lösung suchen´, sagt Bernd Schröder. Tatsächlich aber dankte der angereiste Staatssekretär aus dem Gesundheitsministerium dem Klinikträger dafür, dass er „bereit war die Defizite zu tragen und die Belegschaft zu halten“, nahm alle in die Verantwortung und fragte, ob Stadtrat, Bürgermeister, Träger und Bevölkerung – und auch das Ministerium - genug getan hätten. Der Artikel in der Saarbrücker Zeitung zu der Veranstaltung trug die Überschrift „Angst, Unverständnis und Wut in Wadern“.
Bei den Bewohnern der Stadt in der Hochwaldregion stellte sich das schon vertraute Gefühl des Abgehängtseins ein: Im Saarland konzentriere sich eben alles entlang der Saar, für die Region nördlich davon sei nichts mehr übrig. Und als sie nach der Bürgerversammlung so herumstanden mit ihrer Wut, ihrem Gefühl der Ohnmacht und dem dringenden Wunsch, das alles nicht einfach so hinzunehmen, lief alles auf die Gründung einer Bürgerinitiative zu – und Bernd Schröder als deren Vorsitzenden. Der kannte sich schließlich aus, hatte jahrzehntelang in hoher Position im saarländischen Kultusministerium gearbeitet, engagierte sich ehrenamtlich schon an vielen Stellen in seiner Heimatstadt. „Zu meiner eigenen Überraschung habe ich ja gesagt, als ich gefragt wurde“, sagt er und erzählt, wie er sich sodann in das Thema Krankenhausfinanzierung einlas und dabei feststellte: „So ein kleines Krankenhaus kann sich ja gar nicht rechnen“. Schnell kam er zu dem Schluss: „Es konnte nicht mehr um die Forderung gehen, dass wir unser altes Krankenhaus zurück wollen, sondern, dass wir ein neues Krankenhaus wollten, ein leistungsfähigeres, ein Magnet für die ganze Region“.
06: Die Bürgerinitiative
Zusammen mit seinen Mitstreitern aus der frisch gegründeten BI, einem befreundeten ehemaligen Chefarzt, einer erfahrenen Ärztin und einem Consultant entwickelt Schröder innerhalb weniger Wochen das Konzept der „Nordsaarlandklinik“: Ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung mit 160 bis 180 Betten. Eine Designerin entwirft Logo, Flyer und Banner, die fortan in den Gärten vieler Waderner stehen und jeden Freitag auf dem Marktplatz, wenn die Bürgerinitiative bis heute zu bester Marktzeit an die alte Klinik erinnert und an das, was sie sich für die Zukunft wünscht: Die Nordsaarlandklinik. Als die alte Klinik Anfang 2021 abgerissen wird, macht die BI ein Buch zur Erinnerung – von dem inzwischen alle Exemplare vergriffen sind.
Aus Sicht der Bürger von Wadern ist Bernd Schröder die ideale Besetzung als Vorsitzender ihrer Bürgerinitiative, aus Sicht der Politiker, denen er das Bestmögliche für die Waderner abtrotzen will, ein harter Brocken: Freundlich und konziliant im Ton und tief eingearbeitet in die Materie. Er sagt über sich selbst: „Ich bin kein Bürgerschreck, kein Revoluzzer. Alles, was wir gemacht haben, waren recht höfliche Aktionen.“ Es ist schwer, seine Vorschläge abzulehnen – nicht nur weil er ja mit fast 900-BI-Mitgliedern bei 16.000 Einwohnern einen ziemlich ansehnlichen Teil der Waderner hinter sich hat, sondern weil es auch einfach fachlich gut begründet ist, was er fordert. Sagt man dazu Nein, gerät man in die Defensive.
Die damalige Ministerpräsidentin Annegret Kamp-Karrenbauer (CDU) gibt denn auch recht schnell eine Machbarkeitsstudie für die vorgeschlagene Nordsaarlandklinik in Auftrag. Ende 2017 liegt das Ergebnis vor: Ja, eine Klinik an dieser Stelle würde wohl funktionieren – mit rund 300 Betten. Dafür müssten allerdings die Kliniken in Losheim und Lebach ebenfalls geschlossen werden. Ein Feuer löschen und dabei gleich mehrere neue entzünden? Das Papier verschwindet erstmal in der Schublade.
07: Allianz für Wadern
Aber Schröder ist nicht alleine in seinem Kampf. Denn auch auf dem Posten des Bürgermeisters verfügt die Stadt Wadern über eine ideale Besetzung: Der parteilose Jochen Kuttler ist als gelernter Journalist ein Mann klarer Botschaften, sehr umtriebig und – wie Bernd Schröder – überhaupt nicht bereit, sich einfach so mit dem geschlossenen Krankenhaus abzufinden. Und er versteht es, die Waderner hinter sich zu sammeln. Auch Kuttler steigt tief ein in das Thema Krankenhausfinanzierung und liest dabei über ein Modell im Sauerland, das ihm passend erscheint. Er kontaktiert den dortigen Projektentwickler und Geschäftsführer und erarbeitet mit ihm ein Konzept für Wadern: Ein Gesundheitspark, mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, betreutem Wohnen, Kurzzeitpflege, Therapien und bürgerschaftlichem Engagement soll einen Anlaufpunkt in Sachen Gesundheit für die Bevölkerung bieten.
Bürgermeister und Bürgerinitiative wollen das Gleiche: das Beste für ihr Wadern. Und sie lassen keinen Zweifel daran: So wie es nach der Schließung der Klinik ist, so soll es nicht bleiben. Jeder sorgt in seinen Kreisen dafür, dass keine Ruhe in das Thema kommt, sie führen Gespräche mit Politikern, mit Experten, Krankenhausträgern, Journalisten. Kuttler sagt: „Weit über 350 Termine habe ich zu dem Thema bislang gehabt“. Und sie begleiten die weitere Entwicklung der Marienhaus GmbH kritisch: Als diese beispielsweise für die Schließung der Klinik in Wadern Millionen aus dem Krankenhausstrukturfonds kassiert, in die Klinik in Losheim erst investiert und sie dann Ende 2021 schließt, melden beide sich stets und sehr klar kritisch zu Wort. Kurzum: Sie sorgen dafür, dass kein Gras über die Sache wächst. Oder, wie Kuttler es sagt: „Seitdem geht die BI denen auf den Nerv und ich auch“.
Die beiden haben eine Art Arbeitsteilung, die Schröder so erklärt: „Ein Bürgermeister muss ja immer aufpassen, was er sagt. Stellt er sich zu sehr quer, kann das der Stadt schaden, dann kommen manche Zuschüsse vielleicht nicht mehr. Und natürlich ist er in der Kommunalpolitik nie so ganz unumstritten. Da ist es viel besser, das macht jemand Neutrales, am besten parteifern und das Anliegen kommt von den Bürgern“.
08: Es bewegt sich was
Die Lokalzeitung begleitet ihre Aktivitäten wohlwollend: „Wir haben die Forderungen aus Wadern von Anfang an für legitim gehalten und das auch immer entsprechend kommentiert“, sagt Redakteur Christian Beckinger.
Und das saarländische Gesundheitsministerium? Das gründet kurz nach der Entscheidung eine Task Force. In der ist auch Kuttler Mitglied, später auch die Bürgerinitiative. Kuttler hofft, dass die sich um ein neues Konzept der medizinischen Versorgung des nördlichen Saarlandes bemühen soll, gewinnt jedoch schnell den Eindruck, dass es eigentlich nur darum geht, die Klinikschließung und die Entfernungen zu den nun noch verbleibenden Kliniken schön zu rechnen.
Wadern gibt keine Ruhe. Und – wie Kuttler anerkennend sagt: „Wadern hält krass zusammen“. Und so bewegt sich was: Obwohl nicht mehr an ein Krankenhaus angebunden, wird eine neue Rettungswache gebaut und im März 2019 eröffnet. Auch der Gesundheitspark soll mittelfristig realisiert werden. Die Pläne dazu sind schon recht weit fortgeschritten und liegen seitdem auf Eis, als 2019 Kramp-Karrenbauers Nachfolger Tobias Hans (CDU), zur Überraschung vieler in der Region bei einem CDU-Parteitag verkündet, ein bundesweites Interessenbekundungsverfahren für eine 300-Betten-Klinik in Wadern in Auftrag geben zu wollen.
Und so geschieht es. Einer der Bewerber: Die SHG. Die gemeinnützige Gesellschaft betreibt Krankenhäuser, Rehakliniken, ambulante pflegerische und berufsbegleitende Dienste, medizinische Versorgungszentren sowie ein Seniorenzentrum in der Region. Hauptgesellschafter sind Deutsche Rentenversicherung (DRV) Saarland und Regionalverband Saarbrücken, kleinere Beteiligungen halten der Landesverband Saar e.V. der Arbeiterwohlfahrt und die Knappschaft-Bahn-See.
09: Beim Zuhören entsteht eine neue Idee
Die SHG bewirbt sich allerdings nicht mit einem stationären, sondern mit einem sektorenübergreifenden Konzept, für das sie dann Ende 2020 den Zuschlag bekommt und das heute unter „Hochwald-Klinikum“ läuft. „Ein Krankenhaus an dieser Stelle wäre wirtschaftlich nicht darstellbar gewesen“, sagt SHG-Geschäftsführer Bernd Mege. Für ihn sei klar: „Ein Grund- und Regelversorger im ländlichen Raum hat keine Chance, zu überleben“. Die Erlöse seien einfach zu gering, angesichts der Vorhaltekosten für qualifiziertes ärztliches und pflegerisches Personal in allen Disziplinen und rund um die Uhr. Deshalb habe die SHG eben gleich ein anderes Konzept eingereicht. Das ist auch das Ergebnis guten Zuhörens. „Wir sind immer wieder den Einladungen der Bürgerinitiative sowie des Stadtrates gefolgt und in die Region gefahren. Hätte man alle Wünsche erfüllt, hätte man in Wadern eine Universitätsklinik errichten müssen. In den Debatten vor Ort ist aber auch herausgekommen, dass viele einfach niemanden finden, wenn sie ein medizinische Versorgungsbedürfnis haben. Es ging nicht um das Krankenhaus, es ging um Erreichbarkeit und Nähe“, sagt Mege. Beides würde das Konzept des Hochwald-Klinikum Wadern bringen. Dafür hat die SHG sich auch mit der niedergelassenen Ärzteschaft an einen Tisch gesetzt. „Es ist wichtig, dass alle Beteiligten eingebunden sind und auch ihren Teil beitragen können zu einer möglichen Lösung.“ Und tatsächlich sagt der San.-Rat Dr. med. Joachim Meiser, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland: „Wir halten das für eine sinnvolle Konstruktion. Im ländlichen Raum können solche kooperativen Strukturen zur Sicherung der Versorgung beitragen“.
10: Das Urteil der Bürgerinitiative
Aber ist auch Bürgerinitiative mit diesem Konzept zufrieden? Schröders erste Reaktion: „Das ist ein ganz ansprechendes Konzept für die alltäglichen Fälle“. So habe er das bei einer Sitzung im Ministerium auch gesagt – und damit Erleichterung ausgelöst. „Die Vertreter und Vertreterinnen der Bürgerinitiative sind schon resolut, aber sie sind nicht stur. Sie waren konstruktiv und haben sich auch mitnehmen lassen. Das positive Begleiten jetzt auch einer kleineren Lösung war der Sache sehr dienlich“, sagt Landrätin Schlegel-Friedrich.
Am Anfang hat die BI das Konzept vor allem deshalb unterstützt, weil sie es als Einstieg sah. Weil sie hoffte, dass daraus später schon noch ein „richtiges“ Krankenhaus würde, waren sie mit dem avisierten Grundstück auch zunächst nicht einverstanden – es schien ihnen nicht genügend Möglichkeiten der Erweiterung zu bieten. Inzwischen aber sind sie mit dem Ort zufrieden – auch weil sie SHG versichert hat, den Bau bei Bedarf modulhaft ohne weiteres nach oben erweitern zu können. Zudem habe sich ein alternatives Grundstück aus anderen Gründen als nicht realistisch erwiesen. „Daraufhin beschlossen wir in der BI, den Standort an der Rettungswache zu akzeptieren. Hauptargument war: Die Suche nach anderen Standorten würde das Projekt höchstwahrscheinlich verzögern“, erklärt Schröder.
Die Kommunikation mit dem Träger beschreibt er so: „Die SHG kommuniziert auf Augenhöhe, ehrlich und respektvoll mit uns“. SHG-Geschäftsführer Mege sagt: „Für eine wirksame Kommunikation muss man zunächst eine Vertrauensbasis herstellen: zuhören, Wertschätzung zeigen, zielgerichtet agieren, aber auch nichts schönreden, das ist unsere Philosophie und so machen wir es auch in diesem Fall.“
11: Das Warten riskiert die Zustimmung
Und so hat die SHG sich inzwischen mit dem alten Träger geeinigt, der das Grundstück, auf dem einst das St-Elisabeth-Krankenhaus stand, verpachten würde, der Aufstellungsbeschluss für das Bauvorhaben ist durch die Stadtverwaltung Wadern genehmigt, das Land hat Unterstützung bei den Investitionen zugesagt. Doch dann haben drei Jahre Corona die SHG und ihre Krankenhäuser in den Krisenmodus versetzt. Jetzt explodieren zusätzlich die Baukosten. Und es fehlt nach wie vor ein Modell für eine dauerhafte Betriebskostenfinanzierung für das sektorenübergreifende Versorgungskonzept.
Deshalb lässt der erste Spatenstich weiter auf sich warten, und das macht die Waderner langsam misstrauisch: Schröder beobachtet, dass sich Pessimismus ausbreitet: „Man erinnert sich daran, wie gründlich die Trägergesellschaft Marienhaus des früheren Waderner Krankenhauses jahrelang Mitarbeiter und Bevölkerung belogen hat, und neigt deshalb auch jetzt zur Skepsis“. Würden nicht bald handfeste Fortschritte erzielt, „sehen wir die Gefahr, dass die Stimmung umschlägt“.
Schröder selbst hat jedoch Verständnis für die Situation und wirbt dafür auch unter seinen Mistreitern. Dass die Bürgerinitiative in diesem Sinne zu einem Verbündeten in Sachen neuer Klinik wird, war zu Beginn der Entwicklung alles andere als erwartbar, aber es zeigt, was möglich ist, wenn die, die eigentlich Kontrahenten sind, nicht in der Konfrontation verharren, sondern sich auf den Weg machen um zu schauen, was sich dort finden lässt.
12: Was Wadern lehrt
Und so lässt sich vieles lernen, von den Vorgängen im nördlichen Saarland:
Aus Sicht derer, die etwas erreichen wollen, ist Wadern ein gutes Beispiel dafür, wie man mit Beharrlichkeit und konstruktiven Beiträgen zu einem Ziel kommt, das man in einer konfrontativen Endlosauseinandersetzung nie erreicht hätte. Dazu gehört auch, das Ziel zu ändern, wenn es sein muss oder sich sogar als besser erweist. Wenn sich auf diesem Weg eine strategische Arbeitsteilung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Politik anbietet, kann das sehr hilfreich sein.
Aus Sicht der Entscheidungsträger zeigt sich in Wadern, wie groß die Chancen sind, die in der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger liegt. Wer sich auf einen Prozess einlässt und dabei alle wichtigen Akteure einbindet, kommt am Ende vielleicht gemeinsam zu einem guten Ergebnis – auch wenn das ein anderes ist als zu Beginn angestrebte. Und auch die Rolle der Lokalzeitung als Anwalt der Menschen vor Ort sollte man wahrnehmen schätzen.
In Wadern ist nun die Frage: Wie geht es weiter? Warten auf eine Änderung des Sozialgesetzbuches auf Bundesebene? Oder überbrückt das Saarland einige Jahre des Minus für ein Pilotprojekt? Der neue Gesundheitsminister Dr. Magnus Jung jedenfalls scheint dem Projekt ein gewisses Wohlwollen entgegen zu bringen. Er nannte kurz nach Amtsantritt in einem Interview auf die Frage, welche Projekte auf seiner Agenda ständen auch „die Sicherung der Krankenhauslandschaft und damit verbunden die Errichtung der Nordsaarlandklinik“.
Weiterentwicklung des Vorhabens
Weiterentwicklung des Vorhabens
Wir begleiten den Transformationsprozess in verschiedenen Regionen Deutschlands kontinuierlich.
So erhalten wir tiefere Einblicke in den Wandel des Gesundheitssystems vor Ort und können Prozessschritte im Zeitverlauf abbilden.
Im nördlichen Saarland sucht die Bürgerinitiative (BI) Nordsaarland-Klinik derzeit nach einem neuen Krankenhausbetreiber, der bereit wäre, in Wadern ein ambulant-stationäres Versorgungszentrum zu errichten. Denn die Saarland Heilstätten GmbH (SHG), die für ein solches Konzept schon 2020 den Zuschlag erhielt, kämpft derzeit um das Überleben ihres Klinikums in Merzig. Inzwischen ist der Landkreis 2023 mit 25,1 Prozent bei der SHG eingestiegen, und die arbeitet daran, die Merziger Klinik zukunftsfähig zu machen. Das dauert der BI zu lange, und sie wird nun erneut aktiv. Und hat auch schon einen Plan B: Sollte sich kein Träger finden, will sie das Konzept einer Bürgerstiftung prüfen.
Das für die SHG vorgeschlagene Sanierungskonzept wurde inzwischen genehmigt. Saarlands Gesundheitsminister Magnus Jung (SPD) hat nun angekündigt, eine Taskforce einzusetzen, bei der Vertreter:innen von Land, Landkreis, Stadt Wadern, Kassenärztlicher Vereinigung und Klinikträger SHG sich mit der Realisierung des geplanten Hochwaldklinikums Wadern befassen sollen.
In Wadern wurde zudem Bürgermeister Jochen Kuttler wiedergewählt. Er will beim Thema Gesundheitsversorgung ebenso wenig lockerlassen wie die Bürgerinitiative Nordsaarlandklinik. Die hatte Ende Juli anlässlich der 300. Mahnwache auf Plakaten gefragt: „7 Jahre ohne – Wo bleibt der Ersatz?“ und „Frau Ministerpräsidentin, Herr Gesundheitsminister, der Hochwald wartet!“ gemahnt.
Wir verfolgen die Transformationsprozesse in den Regionen kontinuierlich. Weitere Aktualisierungen zu Wandel veröffentlichen wir künftig quartalsweise.
Interview
Interview mit
Bernd Mege & Michael Zimmer
„Es ist extrem wichtig, dass alle Beteiligten eingebunden sind und auch ihren Teil beitragen zu einer möglichen Lösung“
Interview mit Bernd Mege, Geschäftsführer der SHG-Kliniken und Michael Zimmer, Verwaltungsdirektor des SHG Klinikums Merzig
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Ist aus Ihrer Sicht nachvollziehbar, dass die Marienhaus GmbH die Klinik in Wadern geschlossen hat?
MEGE
Ja. In Wadern und dann später ja auch in Losheim wurden Grund- und Regelversorger geschlossen, weil die unter den heutigen Rahmenbedingungen der Krankenhausfinanzierung nicht in der Lage sind, kostendeckend zu arbeiten. Da werden Eingriffe und Leistungen erbracht, die keinen hohen Erlöswert haben. Dem steht ein fixer Kostenblock gegenüber, der durch die zuvor genannten Rahmenbedingungen nicht gegenfinanziert ist. Die Vorhaltekosten für eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung in allen Disziplinen sind einfach zu hoch. Für uns ist klar, dass ein Grundversorger in ländlicher Region keine Chance hat, zu überleben.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Konnten Sie den Protest der Menschen vor Ort trotzdem verstehen?
MEGE
Ja. Die Menschen haben qualifiziert ihre Sorgen vorgetragen und die Anforderung gestellt: Wir brauchen hier ein Krankenhaus. Wir sind doch nicht Menschen zweiter Klasse. Damit haben sie den Vergleich angestellt, denn entlang dem Verlauf der Saar finden Sie zuhauf Krankenhäuser. Das ist ungerecht, und das haben die Menschen zurecht an die Landesregierung adressiert.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wie schätzen Sie die Rolle ein, die die Bürgerinitiative in dem Prozess seit der Krankenhausschließung bis zu dem jetzt geplanten Hochwald-Klinikum spielt?
MEGE
Ohne die BI hätte sich da nichts getan.
ZIMMER
Die Bürgerinitiative war der Kern, der die Meinung des Volkes in seiner Dringlichkeit transportiert hat, aber auch Bürgermeister Kuttler.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Bei dem Interessenbekundungsverfahren der Landesregierung haben Sie sich ja nicht mit dem geforderten 300-Betten-Krankenhaus beworben, sondern mit einem sektorenübergreifenden Konzept mit 50 Betten. Trotzdem scheinen heute alle damit zufrieden – wie kam es dazu?
MEGE
Wir sind immer wieder zu Versammlungen des Stadtrates und der Bürgerinitiative nach Wadern gefahren, haben sachlichen Dialog gepflegt und begründet, warum ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung dort unter den Rahmenbedingungen nicht geht. In den Debatten vor Ort ist aber auch herausgekommen, dass es gar nicht unbedingt um ein Krankenhaus geht, sondern um Erreichbarkeit und Nähe von qualifizierter medizinischer Versorgung. Anhand von Beispielen verschiedener Krankheitsbilder aus unseren Notaufnahmen konnten wir aufzeigen, dass viele der Abklärungen, die da vorkommen, mit dem, was wir in Wadern vorsehen, vorgenommen werden können. Wir planen dort ja beispielsweise auch eine Radiologie mit CT. Aber einen schweren Motorradunfall oder invasiv-internistische Krankheitsbilder wie Herzinfarkt oder Schlaganfall können wir dort nicht versorgen. Da geht es darum, den Patienten zu stabilisieren und so schnell wie möglich in eine Klinik zu verlegen, die dem Krankheitsbild entspricht.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Das heißt, Sie haben erst einmal Vertrauen durch kontinuierliche Kommunikation aufgebaut?
MEGE
Ja. Am Anfang waren die Bürger skeptisch, der Ton manchmal rau. Aber wir waren da immer authentisch, freundlich und ehrlich, sind keine Antwort schuldig geblieben, aber haben auch nichts beschönigt. Dass die Marienhaus GmbH Ende 2020 kurzfristig Losheim geschlossen hat, bedingte einen deutlichen Vertrauensverlust gegenüber dem bisherigen Krankenhausträger. Die Standortschließung jetzt auch in Losheim, hat die Bürger und auch die Kommunalpolitik verärgert und hat dazu geführt, dass viele gesagt haben: Zur SHG haben wir deutlich mehr Vertrauen, sie ist ein guter Träger. Auch dass wir in Wadern Anfang 2021 ärztlich den Notarztstandort übernommen haben, hat das Vertrauen gestärkt. Das Konzept hat sich in Debatten, Einzel- und Gruppendialogen weiterentwickelt. Und zwar mir allen relevanten Akteuren.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Warum war das wichtig?
MEGE
Es ist entscheidend, dass die Vielzahl der Player an einem Tisch sitzen und besprechen, wie man die Dinge neu ordnen kann. Wir haben beispielsweise auch mit einzelnen Hausärzten vor Ort und mit dem Hausärzteverband gesprochen. Und natürlich mit der Kassenärztlichen Vereinigung – man ist bei so einem sektorenübergreifenden Konzept ja auf die Mitwirkung der niedergelassenen Ärzte und deren Kassenarztsitze angewiesen.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Und haben Sie da überall offene Türen vorgefunden?
MEGE
Am Anfang nicht unbedingt. Die einzelnen Ärzte haben ja auch Partikularinteressen. Einige waren zunächst skeptisch und misstrauisch, sahen das Krankenhaus als Feindbild. Aber auch da ist es uns gelungen, Vertrauen aufzubauen. Es gehen ja etliche Hausärzte demnächst in den Ruhestand, und es gibt jetzt schon freie Sitze. Und auch die Hausärzte leiden darunter, dass es lange dauert, wenn sie Patienten zu fachärztlichen Kollegen überweisen wollen. Es gibt im niedergelassenen Bereich einen großen Mangel bei der Nachfolgebetrachtung. Deshalb muss man sich auch darüber Gedanken machen, wie man mit einer künftigen Arztgeneration umgeht, die ihre Zukunft nicht unbedingt in einer Selbstständigkeit sieht, sondern eher in einem Angestelltensystem. Wir haben unser Konzept dargelegt und mittlerweile hat sich die Erkenntnis eingestellt, dass wir kein Konkurrent, sondern Partner in der Gesundheitsversorgung sind.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Müssen auch deshalb alle Akteure an einen Tisch?
MEGE
Ja, dabei geht es zum einen darum, alle mitzunehmen, zum anderen aber auch darum, Lösungen für drängende Probleme in der Region zu finden: Wenn man beispielsweise nicht mehr genügend Fachärzte hat und am Ende nur die stationäre teure Versorgung übrig bleibt, ist das ja auch nicht sinnvoll. Da werden Patienten mit Krankheitsbildern stationär aufgenommen, die man in einer niederschwelligen sektorenübergreifenden Versorgungsstätte hätte versorgen können. Damit ist dieser Patient fehlgesteuert in das stationäre Setting, verursacht enorme Kosten, obwohl es nicht sein muss. Den Beweis, dass eine sektorenübergreifende Versorgung am Ende besser und günstiger ist, möchten wir gerne antreten.
ZIMMER
Wir erleben häufig, dass Patienten, deren Ärztinnen und Ärzte die Praxen geschlossen haben, ins Krankenhaus gehen, wenn sie nicht ad hoc einen fachärztlichen Termin in einer anderen Praxis bekommen. Wir haben deutliche Zunahmen in unseren Notaufnahmen. Zum einen haben wir dafür aber die Infrastruktur nicht, zu anderen bekommen wir eine Vergütung, die der im ambulanten Bereich deutlich nachhängt. Da brauchen wir andere Modelle.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Spielt die Presse in dem Prozess in Wadern eigentlich eine wichtige Rolle?
MEGE
Ja, absolut. Die lokale Presse war sehr interessiert und sehr konstruktiv in der Debatte. Übrigens auch die politischen Gremien waren sehr interessiert.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Hatten Sie in diesem Prozess eine spezielle Kommunikationsstrategie?
MEGE
Die war entsprechend unserer Managementphilosophie: Vertrauensbasis herstellen für wirksame Kommunikation, zuhören, Wertschätzung zeigen, aber auch in der Debatte zielgerichtet agieren und kommunizieren. Auch nichts schönreden. Das machen wir immer so.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Wäre das auch ein Rat an Akteure, die derartige Prozesse noch vor sich haben?
MEGE
Ja. Es ist extrem wichtig, dass alle Beteiligten eingebunden sind und auch ihren Teil beitragen können zur möglichen Lösung. Es geht darum, dass alle erkennen, dass es Sinn macht, gemeinschaftlich voranzugehen und eher kontraproduktiv ist, wenn alle Beteiligten sich nur auf ihre Einzelziele ausrichten. Wir müssen gemeinsam die Schnittmenge finden – mit der BI, mit der Lokalpolitik, mit den Ärzten, mit der KV, mit allen Beteiligten – und uns dann auf ein Ziel ausrichten. Kommunikation ist dabei das A und O. Man muss die Player identifizieren und stetig kommunizieren, sonst verselbstständigen sich diese.
HEALTH TRANSFORMATION HUB
Obwohl sich in der Region alle einig zu sein scheinen, stockt das Projekt, weil die grundsätzliche Frage der Finanzierung noch nicht geklärt ist, in der Bevölkerung entsteht Misstrauen, das in Ablehnung umschlagen könnte. Fürchten Sie das?
MEGE
Wir haben die Planungen ja vor Corona begonnen, und natürlich hat diese Krise alles verzögert. Aber wir bekennen uns nach wie vor zu unserem Vorhaben und arbeiten weiter daran, es umzusetzen. Dabei sind wir jetzt auf die Politik angewiesen.
ZIMMER
Unser Bestreben ist, ein Pilotprojekt machen zu können und nicht auf eine Gesetzesänderung auf Bundesebene warten zu müssen. Wir wissen aus Vorläuferprojekten in anderen Gegenden, dass die dauerhafte Finanzierung ein wesentlicher Punkt ist, der von Anfang an geklärt sein muss. Sonst geht es nach drei, vier fünf Jahren in die Miesen, man weiß nicht mehr weiter und stellt ein sinnvolles Projekt wieder ein - nur weil der grundsätzliche Rahmen nicht stimmt.
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